Dies Domini – Siebter Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A
Wissen und Glauben teilen ein Schicksal: Ohne praxisgesättigte Erfahrung fehlt beiden die Fähigkeit zu echter Erkenntnis. Wenn reines Wissen oder purer Glauben genügen würden, dann wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ die Herrschaft übernimmt. Ihr stehen Millionen und Abermillionen Quellen offen, die sie nach den Prinzipien stochastischer Analyse in sinnvoll erscheinende Texte hineinkombinieren kann. Bei Projekten wie ChatGPT schauen Nutzerinnen und Nutzer tatsächlich staunend auf die Bildschirme, wenn dort tatsächlich an sich sinnvolle Antworten auf gestellte Fragen erscheinen. Tatsächlich ist da allerdings mehr Schein als Sein, denn die Frage, „Prompt“ genannt, determiniert in gewisser Weise schon die Qualität der Antwort. Wer etwa eine bildschaffende „Künstliche Intelligenz“ auffordert, Jesus und seine Jünger in einer modernen Adaption des letzten Abendmahles zu kreieren, darf sich nicht wundern, wenn er dort moderne Hipster um eine Pizza versammelt sieht. Die „Künstliche Intelligenz“ hat modernes Bildmaterial analysiert und auch „klassische“ Jesusbilder – langhaarig, mitteleuropäisch und – wenn schon Bart – dann im Hipsterstyle. Das mag man hip finden, ist aber letztlich banal. Der „Künstlichen Intelligenz“ fehlt eben doch jede Kreativität, Intuition und Erkenntnis – und damit eigentlich alles, was „Intelligenz“ eigentlich ausmacht. Sie kann nur rekombinieren, was schon da ist. Das kann durchaus nützlich sein, wenn sich der Mensch die „Fähigkeiten“ als Assistenz verfügbar macht. Man sollte deshalb eher von „Künstlicher Assistenz“ sprechen – denn mehr ist es nicht, was dort geschieht, aber auch nicht weniger. Die kommunikativen Fähigkeiten sind eben nur scheinbarer Natur.
Wem das Reproduzieren vorgefertigter und vorfindbarer Sätze an sich reicht, wird zufrieden sein. Allerdings ist die Frage nach der Wahrheit damit noch nicht beantwortet. Ob die scheinbar sinnhaften Reproduktionen „Künstlicher Assistenzen“ auch einen wahrhaftigen Hintergrund haben, können nur diejenigen erkennen, die die Antworten auf die gestellten Fragen eigentlich schon kennen. Wer sich hingegen auf die scheinbaren (!) Fähigkeiten der „Künstlichen Assistenz“ blind verlässt, ergibt sich einem betreuten Denken – mit all den dazu gehörigen Gefahren, die schon seit vielen Jahren immer wieder zu Kopfschütteln führen, wenn das Navi doch befohlen hat, mit dem Auto die Treppe in die U-Bahn zu fahren. Wenn das Navi das doch so gezeigt hat …
Dieses Phänomen betrifft auch den Glauben. Gerne hört man, dass man etwas halt einfach glauben müsse … muss man nicht! Schon Paulus warnt eindringlich vor einem solche naiven Glaubensverständnis, wenn er die Korinther mahnt:
Ich erinnere euch, Brüder und Schwestern, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet werden, wenn ihr festhaltet an dem Wort, das ich euch verkündet habe, es sei denn, ihr hättet den Glauben unüberlegt angenommen. (1 Kor 15,1f)
Wer bloß glaubt, was irgendwo geschrieben steht, handelt wie jemand, der einer „Künstlichen Assistenz“ glauben schenkt, ohne selbst verstanden zu haben.
Ähnliches gilt auch für die, die bloß Wissen wollen. Scheinbar sind sie auf der sicheren Seite, halten sie sich doch vermeintlich an „Fakten“. Tatsächlich gehören „Fakten“ – um es mit Paul Watzlawick zu sagen – Wirklichkeit erster Ordnung. Die kann man eigentlich nicht sinnvoll bestreiten. Allerdings bedürfen die die Fakten der Wirklichkeit erster Ordnung immer einer Deutung, damit sie Bedeutung bekommen. Das bloße Wissen um ein Faktum bewirkt eben noch nichts. Damit das Wissen relevant und eben bedeutsam wird, bedarf es der Interpretation. Das nennt Paul Watzlawick die Wirklichkeit zweiter Ordnung. Die aber ist alles andere als eindeutig. Wer etwa grundsätzlich dem Wissen vertraut, wird nicht an der Existenz des Corona-Virus SARS-CoV 2 zweifeln. Was die Existenz dieses Virus aber für den menschlichen Umgang bedeutet – daran scheiden sich die Geister wohl bis heute. Seriöse Wissenschaftler sind sich immer noch nicht einig, welcher Weg der richtige gewesen wäre. Ist also der allseits zu hörende Ruf „Hört auf die Wissenschaft!“ nicht an sich naiv, wenn nicht geklärt wird, was Wissenschaft eigentlich ist? Wissenschaft ist in sich ja ambivalent, weil sie Wissen deutet – immer in dem Bewusstsein, dass sich die Deutung – das Falisifikationsprinzip Karl Poppers lässt grüßen – als falsch erweisen könnte. Bloßes Trauen auf das nur Wissbare reicht genauso wenig, wie naives Glauben. Das eine wie das andere braucht das Verstehen und Erkennen, das intuitive Deuten in dem Bewusstsein, dass sich die Deutung möglicherweise als falsch erweisen könnte, um bedeutsam zu werden. Wer sich der Mühe des Verstehens und Erkennens nicht unterzieht und sich stattdessen betreutem Denken ergibt, läuft immer Gefahr sich von denen verführen zu lassen, die mit alternativen Fakten scheinbar sichere Wirklichkeiten konstruieren – eine Gefahr, die in Gesellschaft wie in der Kirche immer wieder droht. In Letzterer genügt es ja oft, auf einen vermeintlichen Stifterwillen Jesu zu verweisen, um jede Kritik abzuwürgen. Was aber, wenn dieser Stifterwille nirgends belegt werden kann … glauben allein genügt eben nicht.
Das spiegeln auch die Texte vom siebten Sonntag der Osterzeit im Lesejahr A in einer eigentümlichen Verschränkung wieder. Im Evangelium preist Jesus vor (!) seinem Leiden und Sterben in den johanneischen Abschiedsreden seinen Jünger und empfiehlt sie seinem Vater:
Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie gehörten dir und du hast sie mir gegeben und sie haben dein Wort bewahrt. Sie haben jetzt erkannt, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir ist. Denn die Worte, die du mir gabst, habe ich ihnen gegeben und sie haben sie angenommen. Sie haben wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie sind zu dem Glauben gekommen, dass du mich gesandt hast. Für sie bitte ich; nicht für die Welt bitte ich, sondern für alle, die du mir gegeben hast; denn sie gehören dir. Alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein; in ihnen bin ich verherrlicht. (Joh 17,6-10)
Es scheint so, als wäre für die Jünger alles schon klar. Sie haben doch schon erkannt – und zwar wahrhaftig! Deshalb ist die Schlussfolgerung Jesu nur konsequent:
Ich bin nicht mehr in der Welt, aber sie sind in der Welt und ich komme zu dir. (Joh 17,11a)
Freilich stolpert man über die Feststellung, Jesu sei nicht mehr in der Welt – ist er doch im Moment des Sprechens dieses Satzes noch höchstselbst im irdischen Sein. Gleichwohl lässt diese Irritation ahnen, dass es hier um mehr geht: Die zweite Hälfte des Satzes gleicht einer Entsendung. Die Jünger sollen sein Werk weiterführen. Sie sind noch in der Welt, wenn Jesus schon beim Vater ist. Deshalb ist ihr Erkennen so wichtig, denn nur wer erkannt und verstanden hat, ist des Glaubens würdig.
Die Ambivalenz der johanneischen Szene wird auch in der ersten Lesung greifbar. Sie entstammt der Apostelgeschichte und schildert den unmittelbaren Fortgang der Ereignisse direkt nach der Himmelfahrt Jesu. Dieser hatte seine Jünger zu Zeugen befördert, die – unter dem Beistand des noch zu entsendenden Heiligen Geistes – das Evangelium verkünden sollen:
Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde. (Apg 1,8)
Nur wissen sie noch nicht, wie das geschehen soll. Sie wissen zwar schon, haben aber eben noch keine Erkenntnis. Die wird kommen – und wie sie kommen wird, schildert eben die ersten Lesung vom siebten Sonntag der Osterzeit im Lesejahr A:
Als sie in die Stadt kamen, gingen sie in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben: Petrus und Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon, der Zelot, sowie Judas, der Sohn des Jakobus. Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern. (Apg 1,13f)
Da wird eine große Gemeinschaft geschildert – nicht bloß die Elf (der zwölfte wird nach dem Ausscheiden des Judas Ischarioth erst noch gewählt, ist aber sicher auch anwesend) mit ihren Frauen und die Familie Jesu, also Maria mit seinen Brüdern. Diese Gemeinschaft verharrt dort im Gebet – so heißt es. Was aber ist Beten anderes als ein Gespräch im Bewusstsein der Gegenwart Gottes? Das ist für die Wahrheitsfindung essentiell. Der Kommunikationstheoretiker Friedemann Schulz von Thun stellt schon fest:
Wahrheit beginnt zu zweit.
Mindestens! Um aus Wissen und Glauben Erkenntnis werden zu lassen, muss miteinander gerungen werden:
Der Einspruch des Anderen ist existentiell. (Bernhard Pörksen/Friedemann Schulz von Thun, Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik, München 2020, S. 42)
Wirklichkeiten mag man auch mit alternativen Fakten konstruieren können. Wer aber an der Wahrheit wirklich interessiert ist, kommt um die streitbare Erkenntnisfindung nicht herum. Jesus selbst preist vor seinem Tod die Erkenntnis der Seinen. Es ist offenbar sein Wille, dass um die Wahrheit gerungen wird. Hören wir nicht auf damit, egal was manche, die vorgeben Ansehen zu haben, glauben machen wollen …
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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